Gemeinsam mit Stefan Wollenberg habe ich den Landeskonservator gebeten, das Rechenzentrum auf der Denkmalliste des Landes Brandenburg einzutragen. Das ganze Schreiben finden Sie nachfolgend.
Sehr geehrter Prof. Dr. Drachenberg,
sehr geehrte Damen und Herren,
Hiermit beantragen wir die Eintragung des früheren Rechenzentrums in der Potsdamer Innenstadt in die Denkmalliste des Landes Brandenburgs.
Begründung
Nach § 2 Abs. 1 des Brandenburgischen Denkmalschutzgesetzgesetzes (BbgDSchG) sind Denkmale Sachen, Mehrheiten von Sachen oder Teile von Sachen, an deren Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, wissenschaftlichen, technischen, künstlerischen, städtebaulichen oder volkskundlichen Bedeutung ein öffentliches Interesse besteht.
Beim noch stehenden Verwaltungsbau des früheren Rechenzentrums mit den berühmten Fritz-Eisel-Mosaiken „Der Mensch bezwingt den Kosmos“ ist dies ohne Zweifel der Fall. Als einer der wenigen verbleibenden DDR-Sonderbauten aus den 60er und 70er Jahren in der Potsdamer Innenstadt besteht ein besonderes städtebauliches, zeithistorisches und künstlerisches Interesse. Das Bauwerk ist in seinen Metamorphosen ein einzigartiges Zeugnis der jüngeren Potsdamer Stadtgeschichte.
Dabei war und ist es nicht nur als Objekt einer Auseinandersetzung um Deutungshoheit und Nutzungsideen an diesem historischen Ort zu sehen. Es ist vor allem auch ein Ort, der durch aktives bürgerschaftliches Engagement einer gesellschaftlichen Nutzung mit hoher Anziehungs- und Strahlkraft zugeführt wurde, ein Ort, den sich die Stadtgesellschaft „erobert“ hat. Mithin steht das Rechenzentrum wie kaum ein anderer Ort für die positiven politischen Veränderungen und die aktiv gestaltende Teilhabe der Bürger*innen, die durch die politischen Veränderungen nach 1990 erst möglich wurden.
Zur Geschichte des Rechenzentrums
Das frühere Rechenzentrum in der Landeshauptstadt Potsdam wurde von 1969 bis 1971 an der Kreuzung Dortustraße / Breite Straße gegenüber dem früheren Militärwaisenhaus errichtet. Es geht auf einen Entwurf des Kollektivs Sepp Weber zurück und besteht aus 4 Riegeln des Montagebautyps SK-Ost, die im Rechteck einen begrünten Innenhof umschließen. Nach dem Abriss der Rechnerhalle im Jahr 2020 stehen noch der Verwaltungsbau und ein Teil des ehemaligen Verbinders zur Rechnerhalle.
Am Verwaltungsbau befinden sich seit 1972 18 große Mosaike des Künstlers Fritz Eisel „Der Mensch bezwingt den Kosmos“ die bereits 1977 als künstlerisch wertvoll unter Denkmalschutz gestellt wurden.
Das Rechenzentrum wurde auf dem Grundstück der 1945 zerstörten Garnisonkirche errichtet, deren Reste 1968 abgerissen wurden. Direkt neben dem Verwaltungsbau wird seit 2017 eine Kopie des Turms der früheren Garnisonkirche errichtet. Hinter der Rechnerhalle an der Dortustraße befindet sich das seit kurzem unter Denkmalschutz stehende „Glockenspiel“, dessen Geläut vor 2 Jahren durch die LH Potsdam abgestellt wurde.
Seit September 2015 befinden sich im Verwaltungsbau des früheren Rechenzentrum Büros, Studios und Ateliers von ca. 250 Künstler*innen, Kreativen und Kulturschaffenden.
Die Orte an der früheren Plantage sind seit Jahrzehnten Teil einer stadtpolitischen, teils national und international geführten Auseinandersetzung. Die frühere Garnisonkirche Potsdam war Sinnbild des preußischen Militarismus, der Verbindung von Militär, Amtskirche und preußischem Königshaus. Nicht zufällig war die Garnisonkirche nach der erzwungenen Abdankung des deutschen Kaisers
Wilhelm II und der Gründung der Republik in den 20er Jahren zentraler Sinnort von rechtsextremen Strömungen jeglicher Couleur. Die symbolische Verbindung des alten Preußens mit der frisch errichteten NS-Herrschaft am „Tag vom Potsdam“, dem 21. März 1933 erfolgte symbolisch aufgeladen und sehr bewusst.
Die Sprengung der Turm-Reste und die Errichtung des modernen Rechenzentrums Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre sollte diesen Teil der Deutschen Geschichte aus dem Stadtbild Potsdams löschen. Dem entgegen sammelte in Westdeutschland der revanchistisch eingestellte Bundeswehr-Offizier Max Klaar seit den frühen 80er Jahre Spenden für die Errichtung einer Kopie des historischen Garnisonkirchen-Glockenspiels. Das Glockenspiel wurde schließlich 1991 als Schenkung an die Landeshauptstadt Potsdam in der Plantage errichtet. Da die Glocken rechtsextreme und geschichtsrevisionistische Inschriften enthielten und die Melodie (abwechselnd „Lobe den Herren“ bzw. „Üb’ immer Treu und Redlichkeit“) des Glockenspiels durchgängig umstritten war, wurde es 2019 dauerhaft stillgelegt und Inschriften von den Bronzeglocken entfernt.
Der Verwaltungsbau des Rechenzentrums mit den Eisel-Mosaiken soll hingegen 2023 abgerissen werden, da er in Teilen auf dem Grundstück der Stiftung Garnisonkirche Potsdam steht. Über seinen Erhalt wird seit Jahrzehnten heftig gestritten. Das Künstlerhaus ist heute eines der nur noch wenigen stehenden Zeugnisse der DDR-Baugeschichte in der Potsdamer Innenstadt. Während DDR Bauten in den vergangenen Jahren nach und nach aus den ostdeutschen Innenstädten verschwanden, stieg das gesellschaftliche und denkmalpflegerische Interesse am Erhalt dieser. Gerade weil diese zeithistorische Schiene verstärkt in den Blick gerät, ist die Denkmalschutzwürdigkeit des Rechenzentrums neu zu bewerten.
Als DDR-Sonderbau befindet es sich an einem besonders neuralgischen Punkt der Stadt, an dem mit der Kopie des Garnisonkirchenturms und dem Glockenspiel Zeugnisse der stadtpolitischen Nachwendeentscheidungen stehen. Das ungewollte Ensemble symbolisiert für sich jahrzehntealte stadtpolitische Auseinandersetzungen, die voller Brüche und Widersprüche stecken. Wird das Rechenzentrum abgerissen, verschwindet jener Kulminationspunkt, der die bisherigen gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse überhaupt erst sichtbar und zukünftige verhandelbar macht.
Das vom früheren Weber-Bau heute nur noch das Bürogebäude (das obendrein Teile seiner historischen Fassade beraubt wurde) mit einem Teil des früheren Verbinders zur Rechnerhalle und dem notdürftig gesicherten Kosmos-Mosaiken steht, ist selbst Zeugnis jüngerer Potsdamer Stadt- und Architekturgeschichte. Die baulichen
Veränderungen und Abrisse am Rechenzentrum sind nicht als Beeinträchtigung im Sinne eines Substanzverlustes, sondern vielmehr als wesentliche geschichtliche Spuren zu bewerten – sind sie doch Ausdruck der wechselhaften Nachwendegeschichte. Vor diesem Hintergrund ist aus Sicht der Antragssteller eine Rekonstruktion der historischen Fassade zu prüfen.
Die bereits in die Denkmalliste eingetragenen Mosaike von Fritz Eisel sind ohne den historischen Ort des Rechenzentrums nicht denkbar. Die Installation der Glasmosaike am hochmodernen Datenverarbeitungszentrum war Anfang der 70er Jahre durchaus als programmatischer Bruch zum früheren Standort der Garnisonkirche zu verstehen. Die Bezwingung des Kosmos stellt die frühere Dominante des Garnisonkirchenturms von 88m Höhe in den historischen Schatten. Fortschritt und Wissenschaft waren als Themen der Zukunft durchaus friedlich konnotiert – im Gegensatz zur blutrünstigen Geschichte der Garnisonkirche. Die Weltraummotive adaptierten den weltanschaulichen sozialistischen Fortschrittsgedanken. Sie sind eine Antwort auf den alten „Geist von Potsdam“.
Wir bitten um sorgfältige Prüfung unseres Anliegens und verbleiben
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Müller Stefan Wollenberg